MZ 09.07.08: Helfer brauchen Hilfe

Helfer brauchen Hilfe

COERDE „Es reicht nicht fürs kalte Wasser.“ So lautet eine Redewendung in Rumänien. In Deutschland würde man sagen: „Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel.“

Vor allem in Nadrag, einem 2500-Einwohner-Ort in Westrumänien, reicht es nicht fürs kalte Wasser. Nadrag ist ein Ort, der von jeglichem Wirtschaftsaufschwung abgeschnitten ist. 90 Prozent der erwerbsfähigen Personen sind hier arbeitslos, seitdem das Stahlwerk, in dem 1300 Menschen Arbeit gefunden hatten, vor zehn Jahren geschlossen wurde. In Nadrag kämpfen vor allem die älteren Mitbürger buchstäblich um ihr Überleben. Seit fünf Jahren versucht die Interessengemeinschaft „Hilfe für Nadrag“, den ärmsten unter Nadrags Senioren zu helfen. Der Münsteraner Bernhard Balsliemke hat die IG gegründet, nachdem er im Jahr 2001 zum ersten Mal in dem rumänischen Ort mit der Armut konfrontiert wurde: „Wir wollen den Ärmsten der Armen einen würdigen Lebensabend ermöglichen.“ Ein würdiger Lebensabend. Darunter stellt man sich in Deutschland sicherlich etwas anderes vor als in Nadrag. Hier bekommen 29 vorwiegend ältere und kranke Menschen in der Senioren-Suppenküche an fünf Tagen die Woche ein warmes Mittagessen. Längst keine Selbstverständlichkeit in Nadrag, denn die Lebensmittelpreise sind auch hier in den letzten Monaten rasant angestiegen. So kosten etwa 500 Gramm Margarine umgerechnet 1,20 Euro. In Deutschland derzeit etwa 80 Cent. Ein Pfund Mehl ist in Nadrag nur einen Cent billiger als hierzulande zu haben. Bei den üblichen Mini-Renten (umgerechnet oft im zweistelligen Eurobereich), mit denen einige Senioren in Nadrag auskommen müssen, sind Grundnahrungsmittel mittlerweile Luxusgüter. Wenn es nach dem tatsächlichen Bedarf ginge, müssten in der Senioren-Suppenküche eigentlich 50 Menschen verköstigen werden. „Diese Zahl hat mir der Bürgermeister von Nadrag bestätigt“, sagt Balsliemke. Aber das Geld der IG reicht dafür hinten und vorne nicht. Zwei, drei Mal im Jahr fährt Balsliemke nach Nadrag. Dort trifft er sich mit Herbert Grün, dem Leiter der Caritas-Sozialstation, in der die Senioren-Suppenküche beheimatet ist. Das nackte Elend bekommt Balsliemke in Nadrag aber nicht nur bei Senioren zu sehen, sondern zum Teil auch in Familien. Verwahrloste Kinder, schimmelnde Wände, abgestellte Heizungen. Hoffnung auf Besserung gibt es hier schon lange nicht mehr. Finanziert wird die Interessengemeinschaft ausschließlich durch Mitgliedsbeiträge. „Jeder bestimmt selbst, wie viel er zahlen möchte“, sagt Balsliemke. Doch gerade in der letzten Zeit ist durch steigende Preise bei Lebensmitteln, Energie und Lohnkosten auch die IG in eine finanzielle Schieflage geraten: 7500 Euro kommen im Jahr an Mitgliedsbeiträgen rein. 10 000 Euro braucht die Senioren- Suppenküche, um die 29 Senioren fünf Mal in der Woche mit einem Mittagessen zu versorgen. Bernhard Balsliemke: „Wir knabbern an der Reserve. Das geht nicht auf Dauer.“ Für Balsliemke und die Interessengemeinschaft gibt es nur einen Ausweg: „Wir brauchen neue Leute!“ Informationen zur Interessengemeinschaft gibt es bei Bernhard Balsliemke unter Telefon 0251/232648. Spendenbescheinigungen werden auf Wunsch ausgestellt.

VON BERTHOLD FEHMER (MZ, 09.07.08)

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